Quelle: istock/teksomolika
E-Mobilität made in China – die Sorge der Automobilindustrie
Seit der IAA 2023 befürchtet die deutsche bzw. die europäische Autoindustrie, dass der europäische Markt von chinesischen Elektroautos überrollt wird. Was ist dran an der Sorge, dass chinesische Elektroautos unseren Markt „überschwemmen“? Ein Blick auf die aktuelle Entwicklung, die Hintergründe und die Sorgen der deutschen Automobilindustrie.
Chinesische Elektroautos erreichen Poleposition
Die Sorge war groß, als chinesische Autohersteller ihre neuen Modelle auf der IAA präsentierten, kamen sie doch mit einer konkurrenzfähigen und qualitativ hochwertigen Ausstattung daher. Außerdem im Gepäck: ambitionierte Vertriebsstrategien und -ziele für den europäischen Markt. Die europäischen Autohersteller sahen sich mit einem Mal in der Defensive und befürchteten, dass der Kampf um Elektroautos von den Herstellern aus China dominiert werden könnte. Eine Benchmark für den Umschwung auf dem Markt lieferte unlängst die Meldung, dass der US-Hersteller und Marktprimus Tesla erstmals weniger Fahrzeuge auslieferte als der chinesische Hersteller BYD – und das, obwohl Tesla mit neuen Verkaufsrekorden aufwarten konnte. Im Abschlussquartal 2023 lieferte Tesla 484.507 Fahrzeuge aus, was einer Steigerung von elf Prozent entspricht. BYD hingegen lieferte im selben Zeitraum 526.409 Fahrzeuge aus – eine Steigerung von 62 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die gestiegenen Verkaufszahlen beider Hersteller lassen sich auf ihren monatelangen Preiskampf zurückführen. Tesla lockte seine Kunden mit mehrfachen Preisnachlässen und sechsmonatigem kostenlosem Schnellladen. Musk, Inhaber von Tesla, war bereit, Einbußen bei den Margen hinzunehmen, um das Wachstum zu fördern und gegen chinesische Autobauer zu bestehen. Aber auch BYD gewährte in den vergangenen Monaten Rabatte, um mehr Kunden zu generieren und die Marke am Weltmarkt zu etablieren. Während Tesla aber wegen der Profitabilität Spielräume in der Preisgestaltung hat, erhält BYD staatliche Hilfe, um im Preiskampf zu bestehen.
EU auf Konfrontationskurs mit chinesischen Herstellern
Kurz nach der IAA äußerte sich die Sorge, dass chinesische Elektroautos europäische Modelle verdrängen könnten, in einer Ankündigung der EU-Kommission. Die EU-Präsidentin Ursula von der Leyen gab bekannt, dass die EU die Preispolitik der chinesischen Autohersteller genauer untersuchen wolle. Der Vorwurf: Preisdumping. Die staatlichen Förderungen versetzten, so von der Leyen, die chinesischen Hersteller in die Lage, die Preise künstlich zu drücken und die Märkte mit günstigen chinesischen Elektroautos zu „überschwemmen“. Der europäische Markt könne hier nicht mithalten und gerate ins Hintertreffen. Im Vergleich zu europäischen Modellen sollen die chinesischen Elektroautos satte zwanzig Prozent weniger kosten. Die chinesische Preispolitik ist dabei von staatlicher Seite forciert, schließlich wurde schon vor einiger Zeit das Ziel ausgegeben, China zum Marktführer im Bereich Elektromobilität zu machen.
Strafzölle gegen chinesische Elektroautos als Heilsbringer?
Was könnte am Ende der Untersuchung seitens der EU-Kommission stehen? Experten und Wirtschaftsvertreter sehen die Einführung von Strafzöllen auf chinesische Elektroautos als mögliches Ergebnis, wie es bereits bei den staatlich subventionierten Solarpaneelen aus China vor einigen Jahren der Fall war. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) warnte allerdings, dass etwaige Strafzölle negativen Einfluss auf den Handel und die staatlichen Beziehungen haben könnten. Vielmehr seien die inländischen Probleme anzugehen, schließlich leide die deutsche Automobilindustrie unter zu hohen Energiekosten, umständlicher Bürokratie und im Vergleich zu anderen Ländern zu hohen Steuern und Abgaben. Das besondere Interesse der deutschen Automobilindustrie an guten wirtschaftlichen Beziehungen zu China erklärt sich damit, dass die Volksrepublik einen der größten Absatzmärkte für deutsche Autos darstellt. Zwischen 30 und 40 Prozent ihrer Autos veräußern deutsche Hersteller in China. Und damit wird auch das Dilemma der deutschen Automobilindustrie deutlich: Einerseits würde sie von einer Eingrenzung der chinesischen Elektroautos und deren Drängen auf den europäischen Markt profitieren, andererseits würde sie selbst den für sie so wichtigen Absatzmarkt verlieren oder zumindest massive Einschränkungen hinnehmen müssen.
Anschluss bereits verloren? Die deutschen Elektroautos
Die Sorge der deutschen Hersteller um ihre Wettbewerbsfähigkeit lässt sich jedoch nicht nur auf den international geführten Preiskampf zurückführen. Die deutsche Autoindustrie – wir haben es bereits erwähnt – hat die Elektromobilität viel zu lang vernachlässigt und sich zu sehr auf die Absatzzahlen der Verbrenner auf dem chinesischen Markt konzentriert. Nun, da die Nachfrage an Verbrennern sinkt und die nach Elektroautos steigt – teilweise staatlich gewollt –, gerät die deutsche Autoindustrie ins Hintertreffen und sitzt angesichts der europäischen Außenpolitik gewissermaßen zwischen den Stühlen. Sie sind bei dem Machtkampf zwischen Tesla und BYD völlig außen vor und kein Global Player mehr. Ob das neuerliche Bemühen um Konkurrenzfähigkeit bei der Elektromobilität zu spät kommt? Fest steht, dass sich eine echte Zeitenwende in Sachen Elektromobilität abzeichnet und die Mobilitätswende langsam Fahrt aufnimmt. Die Popularität der deutschen Automarken bei den hiesigen Autofahrern war ein echter Garant für die Absatzzahlen, doch angesichts der Konkurrenz aus China könnte der Einbruch kommen. Doch was spricht für chinesische E-Autos? Ist es alles eine Frage des Preises?
Sind chinesische Elektroautos günstiger als europäische?
Dieser Frage, die angesichts der Vorwürfe der EU-Kommission nicht unerheblich ist, ist auch der ADAC nachgegangen. In einem Vergleich anhand der Fahrzeugklasse und Batteriegröße fand der ADAC heraus, dass die chinesischen Elektroautos im Durchschnitt günstiger sind. Doch der Preisunterschied ist selten so groß wie beim Opel Astra und dem MG4 (die britische Marke MG gehört seit 2007 zum chinesischen Konzern SAIC Motors; letzterer kostet rund 7.000 Euro weniger) oder wie beim Mercedes EQS und dem Nio ET7 (20.000 Euro günstiger). Bei den meisten Vergleichen unterscheiden sich die aufgerufenen Preise nur unerheblich voneinander. Beispielsweise ruft VW für den ID.4 40.000 Euro auf, der chinesische Hersteller Aiways für seinen U5 39.000 Euro. Als Gegenbeispiel führt der ADAC den Funky Cat von Ora an, der mit 44.500 Euro sogar mehr kostet als der vergleichbare ID.3 von VW (40.000 Euro).
Europäische vs. chinesische Elektroautos?
Die Berichterstattung, gerade in Bezug auf die außenpolitischen Handelsbeziehungen der EU, generieren das Bild klarer Linien, europäische gegen chinesische Elektroautos. Doch dem ist nicht so, wie ein Blick des ADAC auf verschiedene wirtschaftliche Beziehungen und Unternehmensstrukturen zeigt. Ein Beispiel ist die Marke Polestar. Sie ist ein Produkt aus der Kooperation vom schwedischen Hersteller Volvo und dem chinesischen Konzern Geely, zu dem Volvo mittlerweile gehört. Geely, ebenfalls Anteilseigner von Aston Martin und Lotus, ist zudem als Partner von Mercedes bei Smart involviert. Besonders ins Auge springt vor allem die Kooperation von Mercedes mit dem chinesischen Staatskonzern BYD, der aktuell wohl zu den größten Konkurrenten zählt. Gemeinsam entwickelten Mercedes und BYD den Van Denza D9, der laut ADAC in naher Zukunft in Europa angeboten wird.
Welche chinesischen Elektroautos gibt es?
Auf dem europäischen Automarkt haben sich bereits mehrere chinesische Autohersteller etabliert. Zu ihnen zählen BYD, Nio, MG sowie Aiway. Im Laufe des Jahres sollen weitere Marken wie zum Beispiel Zeekr folgen. Die bisher verfügbare Produktpalette für europäische Kunden ist bereits groß. So bieten die chinesischen Marken Fahrzeuge in der Kompakt- sowie der Mittelklasse und Limousinen, aber vor allem der SUV-Klasse an. Daneben gibt es auch Transporter aus China, wie den CARO von Elaris. Das Unternehmen sitzt zwar in Rheinland-Pfalz, vermarktet aber in China gebaute Elektroautos. Die Vielfalt chinesischer Elektroautos ist groß und kann dementsprechend die meisten Kundenwünsche bedienen. Doch stimmt die Qualität der Fahrzeuge?
Quantität statt Qualität? Chinesische Elektroautos im Qualitätscheck
Produkten aus China eilt oft ein schlechter Ruf voraus, doch lässt sich das auch über chinesische Elektroautos sagen? Nein, im Gegenteil, wie auf der IAA zu sehen war. Längst haben die chinesischen Produzenten erkannt, dass hochwertige Ausstattung und Verarbeitung Verkaufsargumente sind, insbesondere wenn sie gegen europäische Mitbewerber bestehen wollen. Hinsichtlich der Qualität lassen sich die Modelle von BYD, Nio und Co. mit denen von Tesla, Mercedes etc. messen. Chinesische Hersteller warten aber auch mit Innovationen auf. Beispielsweise rüstet Nio seine Fahrzeuge mit austauschbaren Akkus aus, die bei Bedarf mit wenigen Handgriffen an Nio-Tankstellen getauscht werden können. Der Plan, ein flächendeckendes Netz dieser Tankstellen in Europa einzurichten, liegt bereits in der Schublade.
Überschwemmen Elektroautos aus China den Markt? Ein Blick auf die Zahlen
Kam es wie befürchtet zur Flut chinesischer Elektroautos in Europa? Ein Blick auf die Zahlen verrät: nein. Zwar landete der MG 4 auf Platz 4 bei den meisten Neuzulassungen innerhalb eines Monats (1.722) und rangierte damit vor Tesla und VW, aber ansonsten sind die Verkaufszahlen sehr überschaubar. Nio, eines der vielversprechendsten Startups, konnte zwischen Januar und Oktober 2023 gerade einmal 1.174 Neuzulassungen für sich deklarieren. Bei BYD waren es im selben Zeitraum 3.084 und bei Polestar 5.742. Insgesamt kommen die chinesischen Hersteller auf einen Marktanteil von zwei Prozent. Von einer Flut chinesischer Elektroautos kann daher keine Rede sein. Zwar werden mittlerweile 57 Prozent der Elektroautos weltweit in China hergestellt, doch dazu zählen eben auch solche, die von westlichen Marken in China produziert werden. Diese machen rund 90 Prozent aus.
Fazit
Die Flut chinesischer Elektroautos ist zunächst ausgeblieben. Dass die befürchtete „Überschwemmung“ nicht einmal eine Welle war, hat verschiedene Gründe. Zum einen müssen die chinesischen Hersteller erst Vertriebswege und -strukturen aufbauen. Zum anderen haben sie mittlerweile ihre Preise angehoben, um das Image billiger Produzenten loszuwerden und sich als ernstzunehmende Marke zu präsentieren. Darüber hinaus müssen sie – besonders bei den markentreuen Deutschen – Vertrauen aufbauen. Vor allem da man noch nicht absehen kann, welcher der chinesischen Hersteller den von hohen Investitionsausgaben begleiteten Konkurrenzkampf überlebt. Stehen nach einem Kauf überhaupt lang genug Ersatzteile zur Verfügung? Wird es über Jahre hinweg einen Kundensupport geben?
Auch wenn die befürchtete Überschwemmung chinesischer Elektroautos vorerst ausgeblieben ist, sind sich Experten sicher, dass ihre Verkaufszahlen in den kommenden ein, zwei Jahren deutlich steigen werden. Für die Kunden dürfte das nicht von Nachteil sein, denn der Wettbewerb dürfte sich auf die noch recht hohen Preise auswirken. Abzuwarten bleibt indes, ob die deutschen Hersteller die Zeit nutzen, um für den Konkurrenzkampf mit Fernost besser gewappnet zu sein.